16. November 2023

Zeit in Zentimetern?

Zwei »Gedankenflüge« mit Stefanie Segatz und Anne Jaspersen an der Schule Appelhoff.

Mit einem musikalischen Einstieg starteten heute an der Grundschule Appelhoff neun Kinder der Klasse 4b in einen lebhaften »Gedankenflug« zum Thema Zeit. Worum es überhaupt beim gemeinsamen »Gedanken fliegen lassen« geht, wurde den Kindern anhand des »Gedankenflieger«-Songs schnell klar: Fragen, die sich Philosophen schon vor über 2000 Jahren gestellt haben, sind auch heute noch relevant und lassen unterschiedliche Antworten zu. Mats hat sofort zurückgerechnet: Um welches Jahr genau mag es sich wohl gehandelt haben, als die griechischen Philosophen mit ihren großen Fragen die Marktplätze eroberten?

 

Währenddessen war Sofiia von der Bedeutung ihres Namens ziemlich beeindruckt und um eine Erkenntnis reicher – dass Sophia im Griechischen »Weisheit« bedeutet, hatte ihr bis heute nämlich noch keiner erzählt.

Während ein vorhandener Zahlenstrahl gerade abmontiert wurde, um Platz für unser Gedankenflieger-Plakat zu schaffen, haben wir ein großes Zentimetermaß in Form eines Schals auf dem Boden ausgebreitet, was irgendwie auch an einen Zeitstrahl erinnerte. Unsere Frage »Was ist Zeit?« war also bereits allgegenwärtig.

 

Auf dem Schal trugen weitere Dinge zur Gedankenfindung in punkto Zeit bei: ein altes Schwarz/Weiß-Foto mit goldenem Rahmen erinnerte an vergangene Zeiten, in denen es nur sehr spezielle Kameras gab, das Runterbrennen einer Kerze wurde als sehr lang empfunden und ein angelnder Bär würde wohl ebenfalls ziemlich lange warten müssen, um einen Fisch zu fangen. Manchmal ist also Geduld gefragt. Feste wie Halloween oder das Zuckerfest seien, im Gegensatz zu anderen einmaligen Ereignissen, wiederkehrend und würden dazu einladen, sich schon auf’s nächste Jahr zu freuen.

Mit einer Sanduhr könne man die Zeit messen, genau wie mit einer normalen Uhr, wurde einvernehmlich festgestellt, was wir zum Anlass für ein kleines Experiment nahmen: Eine Quatschmach-Minute wurde einer Sandrieselbeobachtungs-Minute gegenüber gestellt mit der anschließenden Frage, ob sich die beiden Minuten gleich oder unterschiedlich lang angefühlt hätten – die meisten Kinder fanden die Quatschmach-Minute gefühlt kürzer, weil die Zeit mit spaßiger Beschäftigung schneller vergehen würde. Aber einige wenige waren sich nicht sicher, ob sich die beiden Minuten nicht wenigstens gleich lang angefühlt hatten.

 

Das Buch »Ein Tag mit Freunden« von Philip Waechter schloss sich nahtlos an die gefühlte Spaßzeit an und warf die Überlegung auf, dass »ein schöner Erlebnistag mit Freunden« möglicherweise noch viel schöner und spannender wird, wenn er vorher nicht genau durchgeplant wurde. Im Magazin durfte dann beim eigenen Wolkenwesen-Erfinden munter weitergeträumt werden – schön, so ein »Gedankenflug« mit der Klasse 4b!

Für die heute 17köpfige Klasse 4a stand eigentlich Religion und FLOW (Fleissig Lernen Ohne Wut!) mit Herrn Pichlmayr auf dem Stundenplan, stattdessen philosophierten wir auch hier gemeinsam zum Thema »Was ist Zeit?«. Nach einer einführenden Begriffsklärung und Hinterfragung des Begriffs »Weisheit« (»Wenn man ganz viel kann, weil man ganz viel weiß!«, überlegte Surosch) kamen wir schnell in unseren eigenen »Flow«, als wir die Gedanken zum Thema frei fliegen ließen, für weitere Überlegungen festgehalten auf unserer Mindmap.

 

Schnell ging es darum, dass man Zeit messen kann, in Stunden, Minuten und Sekunden, aber auch in Millisekunden und dann wieder in Tagen, Monaten, Jahren. Zeit kann Vergangenheit sein, aber auch Wünsche haben mit der Zeit zu tun, denn sie sind meistens in die Zukunft gerichtet – wobei man sich auch in die Vergangenheit zurückwünschen könne, gab Dennis zu bedenken.

Mit dem 1000 Dinge Glas konnten sich die Schülerinnen und Schüler spielerisch vor dem Hintergrund ihrer eigenen Vorstellungs- und Erfahrungswelt zum Thema in Bezug setzen. Eine kleine Schildkröte kann z.B. mit dem Thema Zeit zu tun haben, weil Schildkröten sehr lange leben (bis zu 200 Jahre!), aber auch weil sie schon seit über 200 Millionen Jahren auf der Erde existieren.

Für Karina verkörperte die Schildkröte jedoch das Thema Zeit, weil sie einmal für die Schildkröten ihrer Tante gesorgt hat und dies eine sehr schöne Zeit für sie war – eine schöne Erinnerung also. Und auch Erinnerungen sind in der Zeit verankert. Jedes Kind konnte einen Gegenstand wählen, ihn beschreiben und die Wahl begründen.

 

Nach einer Bewegungsübung gingen wir mit der Buchgeschichte »Es war einmal und wird noch lange sein« auf Zeitreise. Wir starteten vor Milliarden von Jahren – eine unvorstellbare Zeitspanne – und näherten uns mit den poetischen Bildern von Johanna Schaible Schritt für Schritt der Gegenwart an – bis wir beim »Jetzt« ankamen und uns gemeinsam mit geschlossenen Augen etwas wünschten. Und schon war der Augenblick vorbei und die Gedanken flogen weiter in Richtung Zukunft.

 

Wo wirst du in 10 Jahren leben? »In Paris!«, träumte ein Mädchen, unterwegs auf internationalen Modeschauen mit einer Gucci-Tasche an der Hand. Dennis verortete sich in Berlin – einer Stadt mit vielen Möglichkeiten, in der er noch nie war. Andere vermuteten sich in Kroatien, in der Türkei oder in Spanien – oder aber in Hollywood. Nicht als Filmstar, sondern als Polizistin. Wer weiß schon, was die Zukunft bringt?

Wen wirst du in einem Monat kennen lernen?, lautete eine weitere Frage. »Meine kleine Cousine, die bald geboren wird!«, freute sich ein Kind. Was wirst du entdecken, wenn du groß bist? »Meine Kinder!«, antwortete Abolanle, die sich ganz sicher war, später einmal eine eigene Familie zu haben und die sich jetzt schon sorgt, dass ihr Mann im Alter vielleicht immer hässlicher werden könnte – auch das ist Zeit. Was wird dich für immer beeindrucken? Für Jason war es der internationale Fußballsport, für Ana Maria die Leistung der eigenen Mutter, die drei Kinder großzieht und dabei noch vier Jobs erledigt. Wirklich beeindruckend!

 

Im »Gedankenflieger«-Magazin konnten die Schülerinnen und Schüler beim Malen und Schreiben die im Gespräch genannten oder in der Bilderbuchbetrachtung entdeckten Gedanken verfestigen. In der Aufgabe »Woran merkst du, dass die Zeit vergeht?« kamen viele noch einmal ins Grübeln. »Meine Mutter hat ein weißes Haar bekommen!«, rief Dennis. Für andere wurden die Schuhe zu klein, die Klamotten passten nicht mehr und die kleine Schwester hat Laufen gelernt. Und auch, wenn ein Ziel erreicht ist, geht eine Zeit zu Ende, schrieb Karina.

 

Für die Klasse 4a geht im kommenden Sommer eine ganz besondere Grundschulzeit zu Ende – auch das war den Kindern bewusst. Aber alle waren sich einig: Wir wollen später ein Klassentreffen! Und dann werde sie alle kommen – aus Berlin, Hollywood, Paris, Kroatien, Spanien und der Türkei, denn gemeinsam erlebte Zeit kann auch verbinden. »Ja, eine tolle Klasse«, seufzte Herr Pichmayr etwas wehmütig – wir schließen uns an und bedanken uns für die uns geschenkte Zeit.

 

Stefanie Segatz und Anne Jaspersen