12. Juni 2023

Die ersten Flugstunden für Akteur*innen in Rostock

mit Eva Stollreiter und Inga Faust.

Eine Premiere in den Räumlichkeiten des Peter-Weiss-Hauses in der Rostocker KTV: die allererste »Gedankenflieger«-Fortbildung durfte im Mai an zwei Tagen unter der Leitung von Eva Stollreiter und Inga Faust stattfinden. Im »Kartenraum«, der seinen Namen einer gigantischen Wandkarte der ehemaligen Sowjetunion verdankt, warteten am ersten Morgen eine ganze Menge bunter Papierflieger und viele aufgeregte Gedanken auf die Teilnehmenden.

Eine kleine Gruppe waren wir im Endeffekt, was diesen beiden Tagen eine ganz besondere Atmosphäre ermöglicht hat. Alle Teilnehmenden waren aktive Lehrkräfte, eine Teilnehmerin noch im Lehramtsstudium, was uns nicht verwunderte, denn in Mecklenburg-Vorpommern ist Philosophie (bzw. Philosophieren mit Kindern im Grundschulbereich) an allen staatlichen Schulen verpflichtendes Alternativfach zu Religion.

So viele Philosophie-Lehrkräfte und Schüler*innen wie hier ganz im Nordosten gibt es also nirgendwo. Dennoch ist auch unser Bundesland von starkem Lehrkräftemangel betroffen und Philosophie kann, vor allem im ländlichen Bereich, gar nicht immer abgedeckt werden, was auch bei den »Gedankenflügen« im Land deutlich wird, wo ein Projekt dieser Art dann mehr als willkommen ist.

In unserer Flugstunden-Gruppe fanden sich nun Lehrende in den unterschiedlichsten Situationen zusammen. Manche waren noch recht frisch an der Schule und fragten sich, wie sie inspirierenden Philosophie-Unterricht mit dem restlichen festen Lehrplan kombinieren könnten. Andere hatten fachfremd dieses Fach an ihrer Schule übernommen und suchten nach Impulsen, um sich dieser Aufgabe besser stellen zu können.

 

Unsere Schwerpunktthemen waren »Identität« und »Diversität«, was gut passte, denn »Identität« ist bis kurz zuvor unser »Gedankenflieger«-Jahresthema gewesen. Wir kennen die Bücher dazu sehr genau und viele Fragen und Aspekte rund um das Thema sind uns spätestens in zahlreichen »Gedankenflügen« begegnet. Außerdem haben Eva Stollreiter und ich beide unabhängig von den »Gedankenfliegern« beruflich mit dem Begriff Diversität zu tun.

Eva Stollreiter war Inklusionsbeauftragte und Leiterin des Teams Diversität am FEZ Berlin. Ich hatte neben vielen Kontaktpunkten in meiner Tätigkeit als Literaturpädagogin vor kurzem eine Bücherbox für Kindergarten- und Grundschulkinder zum Thema Diversität erstellt, ein Auftrag des Landesfrauenrates M-V, war also tief in das Thema eingetaucht. Und so war es uns auch ein Anliegen, diese beiden Begriffe in die Fortbildungstage einzuweben und immer wieder zu schauen, von wo kommt jede Einzelne, wohin möchte sie gehen in ihrer philosophischen Praxis, was braucht sie dafür.

Dass dafür auch Mut gefragt ist, konnten wir in einer Sprech- und Zuhörübung spüren. Einfach mal von sich selber sprechen und kein Feedback bekommen – sondern nur ein offenes Ohr. Fragen formulieren, die die eigenen Hindernisse im Arbeitsalltag adressieren und diesen durch weiteres Fragen auf den Grund gehen. Diese Methode, die auch als »sokratischer Dialog« bekannt ist, führte die Teilnehmenden in einer weiteren Übung aus dem Raum heraus und teilweise ganz schön tief an kleinere und größere Knoten heran, sodass es auch mal emotional wurde.

Unser Workshopbuch war, passend zu beiden Themenschwerpunkten, »Ich bin wie der Fluss«, ein autobiografisches Kinderbuch über einen stotternden Jungen und seine Versöhnung mit eben diesem Anderssein. Für die passende Atmosphäre wuchs in der Pause ein Fluss in unserer Mitte, der als Einladung in das Thema aber auch zum Brainstorming verstanden werden durfte. Über den Rückzugsort »Fluss« führte uns das Gespräch auch zur eigenen »Beschaffenheit« und dem »Safe Place«, der für den Protagonisten der Fluss ist. Anschließend an diesen »Gedankenflug« mit Erwachsenen konnten wir gut greifbar machen, welche philosophiedidaktischen Methoden innerhalb einer solchen Veranstaltung durch welche Gangarten angewendet werden können, sodass die »fünf Finger« zusammenarbeiten.

 

Am zweiten Tag sind wir dann alle noch mal richtig kreativ geworden, denn wir hatten Besuch von der Rostocker Illustratorin Tine Schulz, die uns eingeladen hat, ein »Zine« über uns selber zu gestalten. Mit vielen bunten Materialien konnte sich jede ans Werk machen, eine intensive Schaffensatmosphäre entstand und nach einer Weile hatten wir sehr persönliche Werke in den Händen, die ganz wie von selbst beide Inhaltspunkte wieder miteinander verbinden konnten: die je eigene Identität und daraus erwachsende Diversität.

Abgerundet wurde unsere gemeinsame Zeit durch praxisnahe Tipps zum Philosophieren mit Kindern anhand der Bücherbox zum Thema Diversität. Viele Bücher waren den Teilnehmenden noch unbekannt und nachdem in den Pausen schon immer mal Zeit zum Stöbern war, konnten nun ganz konkrete Methoden und Fragen zu den einzelnen Büchern und Themen mit auf den Weg gegeben werden.

Nach diesen zwei Tagen waren alle ganz schön voll und ein wenig erschöpft, aber, wie eine Teilnehmerin so schön sagte: »Es kribbelt jetzt auch richtig in den Fingern, loszulegen!« Nun, frisch zum neuen Schuljahresstart, haben Briefumschläge das Literaturhaus Rostock verlassen. Darin sind Postkarten unterwegs, die die Teilnehmenden an sich selber beschrieben haben, mit den Wünschen für das weitere Schaffen. Geplant ist, viele Gesichter ganz bald wiederzusehen, spätestens auf der nächsten Überlandtour mit einem »Gedankenflug« in den Schulklassen. Ich möchte mich, auch im Namen von Eva Stollreiter, für zwei ganz wunderbare und intensive Tage bedanken. Für die Bereitschaft, ganz viel von sich selbst zu geben und die Lust, ganz viel vom Anderen mitzunehmen!

 

Inga Faust