8. Oktober 2024
Ein Topf voller Mut!
Zwei »Gedankenflüge« mit Stefanie Segatz, Anne Jaspersen und der Stiftung Kinderjahre an der Schule Hohe Landwehr.
»Das Gegenteil von Mut ist Scham. Oder Scheu.«
(Jiana und Katarina, 8 Jahre)
Diese überraschenden und differenzierten Gedanken fliegen an diesem Morgen schon durch die Klasse 3d der Grundschule Hohe Landwehr, nachdem ein Kind die Frage »Was ist das Gegenteil von Mut?« aus einem Tontopf gezogen hat.
Bei dem Spiel, das als kleine Vorbereitung und Einstimmung auf das Buch »Tina hat Mut« von Tatia Nadareischwili daherkommt, sitzen die Kinder im Kreis um einen Tontopf herum. Neugierig versuchen sie einen Blick in den Topf zu werfen, doch »zack« wird ein Kreisel gedreht und alle Augen verfolgen gebannt, in wessen Richtung er zeigt, wenn er irgendwann liegen bleibt.
Mutig wird in den Topf gegriffen und was kommt heraus? Eine Frage. Und zwar nicht irgendeine kleine Frage, die sofort und eindeutig beantwortet werden kann, sondern eine große, vertiefende Frage, die unterschiedliche Antworten zulässt. Denn darum geht es ja, wenn wir mit unseren philosophischen Fragen die Gedanken fliegen lassen und bestenfalls so spannende Antworten bekommen, wie die von Jiana und Katarina.
Aber auch die näher liegenden Antworten sind ein Schatz und stärken die Gemeinschaft. »Mut ist das Gegenteil von Angst«, wirft zum Beispiel Yassin in die Runde und erfährt eine breite Zustimmung in der Klasse. Denn dass es mutig ist, wenn man die eigene Angst überwindet, solange es nicht zu gefährlich wird – das können viele Kinder nachvollziehen.
»Kann man Mut lernen?« ist eine weitere Frage, die aus dem Topf gezogen wird und Shamir ist sich sicher: »Mut kann man lernen, weil man üben kann, sich zu überwinden.« Ob Mut allerdings ein Gefühl ist, darüber wird ein Weilchen diskutiert. Wo sitzt denn der Mut – vielleicht im Brustkorb? Oder im Bauch? Oder im Kopf? Hmm … Also in dieser Sache kann nochmal ein bisschen »nachgefühlt« werden, spätestens das nächste Mal, wenn man in einer Situation mutig sein muss.
»Mut ist eine Entscheidung«
(Salem, 9 Jahre)
»Die »richtige« Entscheidung zu treffen, erfordert eine Menge Mut«, meint Salem aus der 3a, wo die zweite Veranstaltung des Projekts »Gedankenflieger« mit Stefanie Segatz und Anne Jaspersen an diesem Vormittag stattfindet, »denn ob es eine gute Entscheidung gewesen ist, weiß man ja erst hinterher.«
Jonna stimmt ihm zu und denkt seinen Gedanken weiter: »Und wenn man Zweifel hat, ist es schwierig, eine Entscheidung zu treffen – Zweifel sind also das Gegenteil von Mut.«
»Aber wenn man mutig ist, fühlt man auch Stolz, sind Mut und Stolz also dasselbe?«, fragt Christodea in die Runde. »Nee«, meinen mehrere Kinder, »Stolz ist eher eine Folge von Mut. Denn wenn man mutig gewesen ist, fühlt man sich auch ein bisschen stolz. Aber eben erst danach.«
Spannend, wieviele Gedanken zum Thema »Mut« schon in der Luft schweben, bevor die Fühlkiste herausgeholt wird. In der Dunkelheit der Kiste liegen Gegenstände, die einen Bezug zum »mutig sein« haben könnten. Oder auch nicht.
Als sich jedenfalls jemand traut, in die stoffverhängte Öffnung hineinzugreifen und eine Muschel herauszieht, macht sich Ratlosigkeit auf den Gesichtern der Kinder breit. Was soll bitteschön eine Muschel mit »Mut« zu tun haben? »Na ja«, wirft irgendwann jemand von der Seite ein, »so eine glibberige Muschel zu essen, finde ich schon ziemlich mutig.« Und das löst immerhin ein zustimmendes Gemurmel aus.
Ein Musikinstrument mit Mut zu verbinden, ist da schon etwas einfacher. Denn auf einer Bühne ein Instrument zu spielen, wenn der Saal voll ist – das braucht eine Menge Mut. Einige haben das sogar schon selbst erlebt. Und das rote Stoffherz? Was hat das mit Mut zu tun? »Einer Person zu sagen, dass man sie mag, ist schon ziemlich mutig. Man könnte ja ausgelacht oder abgewiesen werden«, flüstert jemand ein wenig schüchtern in die Runde. Und auch damit scheinen einige Kinder bereits Erfahrung zu haben.
Wie schön, dass das Buch »Spriedel« von Antoinette Portis noch einen anderen Aspekt aufgreift, für den man eventuell Mut gebrauchen könnte, nämlich: ausscheren. Aus der Reihe tanzen. Etwas mal ganz anders machen als die Anderen.
Zum Beispiel total verrückte Quatschwörter erfinden, sie im »Gedankenflieger«-Magazin festhalten UND sie am Ende LAUT in der Gruppe zusammen mit einer passenden Bewegung zum Besten geben. Obwohl sich zwar nicht alle trauen, wird doch schnell klar: Ein bisschen Mut kann ziemlich viel Spaß machen! Auch denen, die nicht so gerne aus der Reihe tanzen …
Anne Jaspersen