6. Mai 2023

Zeitreise nach Salzgitter

mit Stefanie Segatz und Anne Jaspersen.

Was für eine Jahreszeit! Unsere Frühlingstour im Raum Salzgitter führte uns durch blühende Rapsfelder an die Grundschulen Dürerring, Steterburg, Ostertal und Salder. Mit Wortwolken, Sanduhr-Experimenten, Bilderkarten und Bewegungsspielen kamen wir zum Thema »Was ist Zeit?« mit Kindern der Klassen 1 bis 4 ins Gespräch, bevor wir uns dann anhand einer Bilderbuchgeschichte ausführlich einem ausgewählten Aspekt zum Thema ZEIT widmeten. Da ging es um Ungeduld und Wehmut, Veränderung und Wachstum sowie um Langeweile und das Erkennen und Nutzen glücklicher Momente. Kein Kind war dabei, das nicht mit persönlicher Erfahrung und großem Bemühen um das richtige Wort das philosophische Gespräch bereichern konnte. Beim Malen und Schreiben im »Gedankenflieger-Magazin« wurden noch einmal ganz neue Ideen sichtbar oder bereits verhandelte visualisiert, so dass die Schlussrunden wie im Flug vergingen. Schon vorbei – wie schade! Die Erinnerung bleibt.

Warten

Wie sich Warten anfühlt, wissen alle Kinder: langweilig!

Über zwei Stunden hat Eylül schon einmal im Wartezimmer des Zahnarztes verbracht, und auch wenn der Bus zu spät kommt, fühlen sich die verspäteten Minuten wie eine Ewigkeit an. Aber seltsam: sobald man nicht mehr auf die Zeiger der Uhr schaut, sondern sich mit Freunden unterhält, mit Tieren spielt oder beim Malen die Zeit vergisst, verfliegt die Zeit wie im Nu und zwei Stunden können sich wie ein Augenblick anfühlen.

 

Ähnlich ist es, wenn man sich auf ein Computerspiel einlässt, da sind plötzlich mehrere Stunden verstrichen und man fragt sich, wo die Zeit geblieben ist.

Ist das eher gut oder doch bedenklich? Gar nicht so leicht zu beantworten. Auf jeden Fall bleibt ein komisches Gefühl zurück. Aber auch Warten kann man fühlen:

»Dann wird man ungeduldig und richtig wütend auf die Zeit!« (Karim, 9 Jahre).

 

Ungeduld

Die Pflanze Mimosa will einfach nicht blühen – Paulette wird ungeduldig. (Paulette und Minosch, Kerstin Hau und Raffaela Schöbitz).

 

Hamiz aus der dritten Klasse kann Mimosa gut verstehen: »Man braucht doch auch Zeit für sich! Und nicht jeder kann schnell sein!«

Alle schließen sich an – Zeit für sich selber ist wichtig. Die im Alltag zu finden, ist aber nicht immer ganz einfach, und manchmal muss man erst ausprobieren, was einem wirklich gut tut.

 

Haziz kann sich auch in die ungeduldige Paulette hinein versetzen: »Manchmal dauert etwas ewig, dann wird man erst ungeduldig, aber dann gibt man auch irgendwann auf.« So ging es ihm bei einem Arzttermin, bei dem er einfach vergessen wurde. Keine schöne Erinnerung, aber zum Glück schon lange her.

Abschied/Neuanfang

16 Bildkarten liegen auf dem Boden, unterschiedliche Aspekte von »Zeit« finden sich in den Bildern wieder.

»Zeit ist Veränderung«, sagt Emma (9 Jahre), während sie eine Karte betrachtet, auf der drei gerahmte Porträts zu sehen sind: ein Mädchen, eine junge Frau und eine alte Frau.

Wir sprechen über den Kreislauf der Zeit, darüber, dass es Dinge gibt, die immer wiederkehren (zum Beispiel die Jahreszeiten), über Lebenszeit und Endlichkeit.

Im Buch »Wieder zu Hause« von Colleen Rowan Kosinski und Valeria Docampo kann sich ein Haus nur schwer von den schönen Erinnerungen an seine Bewohnerfamilie trennen und braucht viel Zeit, um Veränderung zuzulassen. Beim Philosophieren erinnern sich die Kinder an eigene Umzüge, Abschiede und Neuanfänge und können anschließend zum Glück einige der schönen Momente, die sie »für immer in ihrem Herzen tragen« (Mila, 9 Jahre) möchten, malend oder schreibend im Gedankenflieger-Magazin verewigen.

 

»Die Zeit ist wie ein Fluss«

(Mevanur, 8 Jahre)

 

Um der Zeit auf die Spur zu kommen, hilft es, am Anfang einer »Gedankenflieger-Runde« Assoziationen in einer Zeitwolke zu sammeln, denn die Zeit ist immer da, ganz egal, was man mit ihr anstellt: Uhrzeit und Urzeit. Schulzeit und Ferienzeit. Hausaufgabenzeit und Freizeit. Zeit, die schon vergangen ist und Zeit, die noch kommt. Zeitlupe und Zeit für Sport, Bewegung, Musik. Wertvolle Zeit und Zeit, die schnell vorbeigehen soll. Der jetzige Moment. Oder auch: »Ein Tag mit Freunden«.

Im Buch mit dem gleichnamigen Titel von Philip Waechter trifft der gelangweilte Waschbär auf seine Freunde und verbringt mit ihnen einen wunderbar zeitvergessenen Tag – die ursprünglichen Pläne rücken in den Hintergrund und werden fast zufällig am Ende doch noch gemeinsam umgesetzt – eine herrliche Hommage an das Gefühl für den »richtigen« Moment, Intuition und Entschleunigung.

Erinnerung

Es gibt Momente und Ereignisse, an die man sich gerne erinnert, an andere weniger. Auf jeden Fall gehört für alle Kinder der dritten Schulklassen an unserem dritten »Gedankenflieger-Vormittag« der Aspekt »Erinnerung« zum Thema Zeit, denn man trägt sie immer mit sich herum und an manche Dinge erinnert man sich sicher sogar noch, wenn man schon ganz alt ist.

Zum Beispiel an die Geburt der kleinen Schwester, an die schönen Familienfeste zur Ramadanzeit oder den Moment, als man zum allerersten Mal im Meer gebadet hat.

»Bis dahin kannte ich ja nur die Badewanne und das Schwimmbad«, erinnert sich Nohin.

 

Eine Minute

Ein kleines Sanduhr-Spiel testet das Zeitempfinden: Beim ersten Durchlauf der »Eine-Minute-Sanduhr« strecken, schütteln, drehen wir uns, klopfen den eigenen Körper ab und erfinden nebenbei ein paar Quatsch-Wörter.

Die zweite Minute wird damit verbracht, im ruhigen Sitzen dem Rieseln des Sandes zuzuschauen. Ohne zu sprechen. Für einige eine kleine Herausforderung, denn dafür braucht man Geduld. Doch was genau macht jetzt den gefühlten Unterschied aus?

 

Wenn man mit Dingen beschäftigt ist, die einem Spaß machen, verfliegt die Zeit schneller, als wenn man einfach nur darauf wartet, dass die Zeit vergeht. Trotzdem kann auch Genuss im Nichtstun oder im schlichten Beobachten liegen, denn das nimmt Druck und bringt Entspannung. Es kann also beides Vor- und Nachteile haben.

Zeit für Kreativität

Im »Gedankenflieger-Magazin« hatten die Kinder großen Spaß daran, die Zeit zu vergessen, sich Wolkentiere zu erträumen und farbenfrohe Wolkenbilder entstehen zu lassen.

Aber auch das Labyrinth ließ keine Zeit für Langeweile: Die Kinder durften ihren persönlichen Weg mit überraschenden Begegnungen füllen.

 

Momente zu Papier zu bringen, auf die man schon mal viel zu lange warten musste oder Weckgläser mit Erinnerungen zu füllen, die man am liebsten für immer aufbewahren möchte – die »Zeitanstöße« im Magazin befähigen die Kinder dazu, ihre Erkenntnisse aus den philosophischen Gesprächen in eine kreative Form zu bringen und die Perspektive zu wechseln – eine Sache, die nicht nur wach, sondern auch Spaß macht!

 

Ein herzlicher Dank geht an die Braunschweigische Sparkassenstiftung und an den Förderverein des Lions Clubs Salzgitter Schloss Salder für die finanzielle Unterstützung und natürlich an Frau Viering vom Literaturbüro im Fachdienst Kultur der Stadt Salzgitter für die großartige Organisation und Begleitung dieses so wichtigen Projekts.

Dank Ihnen durften die Gedanken in Salzgitter an vier Grundschulen durch die Zeit fliegen – wir sind immer noch ganz beflügelt und freuen uns auf ein nächstes Mal!

 

Stefanie Segatz und Anne Jaspersen