10. Juni 2023

»Zeit kann man schmecken«

»Gedankenflieger on tour« im Landkreis Lüneburg, Ilmenau-Schule (09.06.2023)

An der Ilmenau-Schule in Deutsch Evern werden wir von gut gelaunten Drittklässler*innen begrüßt. Die Stimmung ist gut, die Kinder sind fröhlich und können es kaum erwarten, ihre Gedanken fliegen zu lassen. Wir starten mit der Frage, was es denn eigentlich mit dem Wort »Gedankenflieger« auf sich hat und warum wir uns wohl so nennen. Jannis hat auch schon eine erste Antwort parat: »Durch Bücher fliegt man in eine eigene Welt«.

Und in der Tat haben wir ebenfalls Bücher mitgebracht und werden im Laufe des Gedankenflugs das Buch »Wieder Zuhause« gemeinsam lesen. Auch Bastian ist davon überzeugt, dass die Gedanken »im ganzen Körper« fliegen. Und Jannis meint sogar zu wissen, dass wir beim Gedankenfliegen Fragen stellen, auf die es keine einfachen Antworten gibt.

Das sind ideale Voraussetzungen für einen Gedankenflug und so gelingt auch der Übergang zum Thema »Zeit« mühelos. Die Kinder werfen ziemlich direkt ein, dass es verschiedene Zeitzonen auf der Erde gibt, und nach einigen Fragen landen wir auch schon bei den verschiedenen Geschwindigkeiten und Dimensionen von Zeit. »Die Zeit geht jede Sekunde weiter«, behauptet Bastian. »Ein Lebenslauf geht nie zu Ende«, meint Jannis, ebenso: »Die Gegenwart dauert gar nicht«. Und Philipp ist sich sicher: »Ich war schon mal so schnell, dass die Zeit gar nicht mehr hinterherkam.«

 

Nachdem wir die Unterschiede zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durchleuchtet und über die Frage diskutiert haben, wie sich die Zeit eigentlich beim Träumen anfühlt und verändert, stellen wir noch die Frage danach, ob es die Zeit denn überhaupt gibt.

Gibt es die Zeit oder ist sie vielmehr eine Erfindung der Menschen, so wie auch die Uhrzeit und das Uhrwerk menschliche Errungenschaften sind? »Man kann die Zeit von der Sonne ablesen«, wirft Jack dann ein. Und Zeit ist in jedem Fall keine feste Größe, sondern sehr relativ und subjektiv, denn »die Zeit vergeht ganz langsam, wenn ich warte, aber wenn man Spaß hat, vergeht sie ganz schnell, zum Beispiel im Schwimmbad«.

 

Beim gemeinsamen Lesen und Durchdenken des Bilderbuchs »Wieder Zuhause« sind die Kinder fasziniert und gebannt von der Geschichte. Sie fiebern mit dem Haus mit und lassen sich allesamt emotional auf die Gedanken und Gefühle rund um das erzählende Haus ein.

Immer wieder zeigen sie, wie sehr sie die Geschichte berührt und wie sehr sie sich mit dem Haus identifizieren können. Auf die abschließende Frage, was denn ein Haus von einem Zuhause unterscheidet, haben die Kinder wieder vielfältige Antworten.

 

Für einige reicht eine Woche, für andere muss man schon mindestens ein halbes Jahr in einem Haus verbracht haben, damit man es sein Zuhause nennen kann. Entscheidend ist, dass man es bewohnt. Denn ein Zuhause ist immer bewohnt, das finden wir gemeinsam als letzte Idee dieses Gedankenflugs heraus.

Den zweiten Gedankenflug beginnen wir mit der Frage nach den sinnlichen Dimensionen von Zeit – ein spannendes Experiment für alle, das den zweiten Gedankenflug eröffnet und die Gedanken der Kinder mit vielen eigenen Beispielen zum Fliegen bringt:

 

Kannst du sie riechen?

»Ja, ich kann riechen, wenn jemand aufgeregt ist!«,

sagt Eddie. »Oder alte Socken!« Ein besonders eindrückliches Beispiel beschreibt Johannes: Ein faulendes Ei sei ein eindeutiger Beweis dafür, dass man Zeit riechen kann.

 

Kannst du sie sehen?

»Ja, der Sekundenzeiger auf der Uhr rückt ja immer weiter.«

(Nurullah)

 

»Am Sonnenaufgang und -untergang kann man sehen, wie die Zeit vergeht«, weiß Carlo.

 

Kannst du sie schmecken?

»Ja, Zeit kann man schmecken. Ein durchgekautes Kaugummi schmeckt ganz anders als ein neues!«

(Peer)

 

Kannst du sie fühlen?

»Ein schrumpeliger Apfel fühlt sich anders an als ein frischer!«

(Jannes)

»Man kann auch mit den Händen ertasten, dass Zeit vergangen ist, zum Beispiel daran, dass der Kleber angetrocknet ist.« (Frieda)

 

Kannst du sie hören?

»Im Krieg kann man die Zeit besonders gut hören, zum Beispiel wenn Bomben einschlagen.«

(Malia)

 

Dann machen wir uns gemeinsam mit dem Buch »Es war einmal und wird noch lange sein« auf eine Zeitreise: Jede Station lädt zum Staunen ein, und als wir im Jetzt ankommen, schließen alle für einen Moment die Augen und wünschen sich etwas im Geheimen.

Da das Jetzt so kurz ist, geht es auch schon weiter: Die Fragen an die Zukunft beantwortet jeweils ein einzelnes Kind, viele Finger fliegen in die Luft. Bei den Wünschen für die Zukunft dürfen alle Kinder ihre Wünsche nennen: »Eine Villa«, »dass der Krieg bald vorbei ist«, »eine Familie mit Kindern«, »einen guten Job« oder »ein glückliches Leben!«

 

Mit der Zeitmaschine machten wir uns im »Gedankenflieger«-Magazin auf in Richtung Vergangenheit oder Zukunft – und viele Kinder wünschten sich auch, im Jetzt zu bleiben und hier auf Reisen zu gehen: ins Fußballstadion nach Paris (Carlo), nach Ägypten mit dem neuen Metalldetektor (Mattis) oder nach Dubai ins Hochglanzshoppingcenter (Sarah). Die Zeit – hier in Deutsch Evern eine verheißungsvolle Ungewissheit.

 

Jörg Bernardy und Stefanie Segatz