30. Dezember 2024
»Gedankenflieger« in der Zentralbibliothek
am 29. Dezember 2024 mit Anne Jaspersen.
Ein graues, ungemütliches Draußen lädt zum Verweilen in der Zentralbibliothek der Bücherhallen Hamburg ein, ganz besonders, wenn dort die Veranstaltungsreihe »SO‘nNTAG für Hamburg« stattfindet – konzipiert und umgesetzt von der Ideenschmiede WILKENWERK. An zweiundfünfzig Sonntagen pro Jahr wird die Zentralbibliothek zum Begegnungsort für alle und öffnet ihre Türen. Von 13 bis 18 Uhr gibt es ein abwechslungsreiches Programm für Groß und Klein – voller Angebote, Austausch und Abenteuer.
In diesem Rahmen sind wir mit dem Projekt »Gedankenflieger« vom Jungen Literaturhaus Hamburg nun bereits zum dritten Mal vor Ort, um mit Kindern zwischen sechs und zehn Jahren über die philosophische Frage »Was bedeuet Mut?« nachzudenken. Im Vorfeld bin ich schon ein bisschen aufgeregt: Wieviele Kinder werden kommen? Und wie mutig werden sie mitdenken und mitmachen, obwohl sie die anderen Kinder gar nicht kennen? Zumal das altersübergreifende Format und die Anwesenheit der Eltern vermutlich auch noch eine Rolle spielen …
Wenn wir in Schulen oder im Literaturhaus mit Schulklassen philosophieren, haben wir natürlich andere Voraussetzungen: Dann lassen wir mit gleichaltrigen Kindern einer Klassengemeinschaft die Gedanken fliegen, begleitet von einer oder zwei Lehrkräften.
Ich muss mich von der Dynamik einer neuen Ausgangssituation also überraschen lassen und bin deshalb sehr gespannt, als an diesem Nachmittag viele neugierige Kinder mit ihren Eltern eintrudeln, bis die Gruppengröße von 25 Kindern erreicht ist. Umso mehr freue ich mich darüber, dass sich erstaunlich schnell eine offene Gesprächsatmosphäre einstellt, während ich Namensschilder verteile. Einige Kinder setzen sich gleich zu mir nach vorne und plaudern fröhlich los, andere bleiben lieber ein wenig im Hintergrund auf dem Schoß eines Elternteils sitzen und beobachten von dort aus das Geschehen. Dabei sind es nicht unbedingt die älteren Kinder, die sich nach vorne drängeln. Der Mut, den man braucht, um sich vor einer fremden Gruppe zu äußern, hängt also nicht unbedingt vom Alter ab, sondern offenbar vielmehr vom Temperament.
Zu Beginn gibt es gleich interessante Überlegungen zum Thema Mut, zum Beispiel berichten einige Kinder davon, dass sie mehrfach auf einen Sprungturm oder eine große Rutsche geklettert sind, bevor sie den Mut hatten, tatsächlich herunter-zu-springen oder zu rutschen. Es ist offenbar möglich, sich ans »mutig sein« heranzutasten, immer mutiger zu werden, bis man am Ziel angekommen ist. Ist Mut also eine Art Prozess?
»Mut bedeutet eigentlich, nicht aufzugeben, dann schafft man es auch irgendwann«, bemerkt ein älteres Kind etwas schüchtern.
Als wir das Buch »Tina hat Mut« von Tatia Nadareischwili lesen und betrachten und vermuten, dass es für Tina zusammen mit ihrem Hund Poppy wahrscheinlich leichter ist, in den dunklen Bambuswald zu gehen, statt alleine, meldet sich ein Mädchen und sagt:
»Auch ein Stofftier kann Mut machen, denn man kann es ans Herz drücken und dann traut man sich mehr. Besonders, wenn man es schon von Geburt an hat.«
(Charlotte, 6 Jahre)
Da bemerken auch andere Kinder, dass sie mit ihrem Lieblingskuscheltier im Arm abends besser einschlafen können und weniger ängstlich sind oder im Umkehrschluss sich eben mutiger fühlen. Aber warum eigentlich? Ist das Vertraute der Grund dafür? Hat Mut also was mit Vertrauen zu tun?
Anknüpfend an die Geschichte spielen wir ein kurzes Kreisel-Spiel, ähnlich wie Tina aus dem Buch, die einem Kreisel folgt und eine Art Schnitzeljagd erlebt. Wir machen zwar keine Schnitzeljagd, ziehen jedoch Zettel aus einem kleinen Tontopf mit Fragen darauf. Eine Frage lautet zum Beispiel: Tut Mut immer gut?
»Einfach in ein Baumhaus zu klettern, ohne zu wissen, wem es gehört, ist nicht sehr schlau. Es könnte ja auch Privatbesitz sein«, findet Oskar aus einer 3. Klasse.
Und andere Kinder ergänzen, dass Mut eben auch dumm sein kann. Nämlich dann, wenn man sich überschätzt und sich dadurch womöglich in gefährliche Situationen bringt.
Wie ermutigend, dass am Ende der Veranstaltung jedes Kind ein extra zum Thema konzipiertes »Gedankenflieger«-Magazin mit nach Hause nehmen darf. Vorher gehen wir allerdings nochmal der Frage nach: »Wann warst du einmal mutig und was hat das für dich verändert?« Dazu wird im Magazin fleißig gemalt und geschrieben und ein paar wenige Kinder trauen sich zum Abschluss tatsächlich, ihr Ergebnis zu zeigen. Zusammenfassend stellen sie fest: Wenn man sich endlich überwunden hat, eine Sache zu tun, wofür man zuerst keinen Mut hatte, kann es am Ende sogar richtig Spaß machen!
Und dem kann ich mich nur anschließen. Vielen Dank an alle Beteiligten für diesen besonderen »Gedankenflug«!
Anne Jaspersen