18. August 2021

Gedanken fliegen überLand

mit Isabell Köster, Ulrike Jänichen und Anne Jaspersen.

1. Tag in der Grundschule am Schloss:

 

Das Philomobil ist wieder unterwegs in Mecklenburg-Vorpommern. Montagmorgen, das Wetter ist grau, doch die Fassade der »Grundschule am Schloss« in Bützow strahlt im freundlichen Kontrast dazu hellgelb und rosa und zwei vierte Klassen dürfen heute die Gedanken fliegen lassen. Unser erster Tourtag ist auch der erste, an dem Kinder und Lehrer in Mecklenburg-Vorpommern sich ohne Maske durch das Schulgebäude bewegen dürfen. Endlich sind beim Lachen wieder Zähne zu sehen und kein Mund steht still: Es gibt viel Redebedarf jenseits von Deutsch und Mathe und es gibt in der kurzen Pause – vielleicht im Überschwang – ein Gerangel, Tränen, kurz, einen akuten Fall von Ungerechtigkeit.

 

»Wenn man ungerecht behandelt wird, merkt man das im Kopf. Und im Herz.«

Wurde vorher noch eingekreist, wie beim Philosophieren die Gedanken von einem Kopf zum anderen fliegen können und was Philosophieren bedeutet, waren die Referentinnen Ulrike Jänichen und Isabell Köster jetzt schnell mitten im mitgebrachten Thema »Gerechtigkeit«.

 

Was kann ich gegen Ungerechtigkeit tun? Wer kann mir helfen? Was ist die Rolle eines Klassensprechers? Wo kommen wir hin, wenn einer haut und der andere zurückhaut? Wir lernen: Miteinander reden hilft. Sich Gehör verschaffen, Verbündete suchen. Darum geht es auch im  Bilderbuch von der »Kleinen roten Henne« und den entsprechenden Seiten im Gedankenflieger-Magazin.

Aber auch das mit der Dosierung von Hilfe ist ein schmaler Grat, denn zu viel davon kann als Übergriff empfunden werden. Das berichtet ein Mädchen aus der  4a: »Wenn mir meine Mutter bei Sachen hilft, die ich eigentlich alleine machen sollte und auch kann, ist das ungerecht.« (Man kann nicht zeigen, was man kann.)

 

Ebenfalls ist es ungerecht, wenn man nur »weil man früher oft geärgert hat, auch jetzt immer noch als Erster verdächtigt wird.« So mag es auch dem schwarzen Buntstift von Duncan aus dem Buch »Streik der Farben« gehen, der immer nur für die dunklen Umrandungen zuständig ist und diese Rolle einfach nicht los wird.

Ungerechtigkeit kann man fühlen. »Sie macht wütend und auch traurig.« Aber wie damit umgehen?

»Wenn ich wütend bin, will ich was kaputt machen. Aber mein Papa hat mir einen Boxsack gekauft, da kann ich mich austoben.«

Das Buch «Zwei für dich einer für mich«, das Ulrike Jänichen mit den Kindern liest, löst Heiterkeit aus. Wenn zwei Tiere drei Pilze teilen sollen, freut sich schließlich ein drittes. Die Kinder überlegen, wie sie gerecht teilen würden und versetzen sich in verschiedene Tiere. Jedes Tier hat andere Bedürfnisse, keines ist gleich, deshalb gibt es kein generelles Richtig oder Falsch. Es gilt, unterschiedliche Ideen auszuhalten – ganz, wie es Ulrike Jänichen, zu Beginn bei ihrer zeichnerischen Einführung zur Philosophie herausgearbeitet hatte. So schließt sich ein Kreis – und der erste Gedankenflieger-Tag in Mecklenburg-Vorpommern.

2. Tag in der Viktor-Bausch-Grundschule Neu-Kaliß:

 

Am zweiten Tag unserer Tour reist das Philomobil mit den Regenwolken um die Wette an den südlichen Rand von Mecklenburg-Vorpommern nach Neu-Kaliß.
Hier erwarten uns Kinder der 3. und 4. Klasse zum gemeinsamen Philosophieren.

 

Auch heute zeigt uns eine einfache, wachsende Zeichnung von Ulrike Jänichen auf verständliche Art und Weise, wie eine Idee, bzw. eine Vorstellung von etwas entstehen kann:
Man male einen Kreis, einen zweiten drumherum, dann Linien, die beide verbinden und siehe da – das Bild wird mit jedem Detail konkreter, ähnlich einer philosophischen Frage, die immer weiter eingekreist wird.

 

Die Vermutungen darüber, was hinter dem jeweiligen Abbildungsschritt stecken könnte, sind mehrdeutig, und doch gut begründet. Verschiedene Meinungen dürfen nebeneinander stehen und sich ergänzen. Bis irgendwann einstimmig beschlossen wird: das kann nur ein Schwimmring sein!

 

Einen Schwimmring braucht auch die Ziege in dem Buch »Wie die Ziege schwimmen lernt«, denn die Sportart liegt ihr nicht besonders. Genau wie einige andere Tiere muss sie sich mit dem Erlernen von Dingen abmühen, für die sie einfach nicht gemacht ist. Da geben sogar die Lehrer auf. Doch wie könnte man es besser machen?

 

Die Kinder haben eine Menge Ideen:
»Die Lehrer könnten zurückkommen und jeden an der Stelle fördern, wo er oder sie etwas gut kann.«
»Jeder bekommt bei dem Hilfe, was ihm noch nicht so gut gelingt. Das wäre gerecht.«
Man muss nicht alles super können, aber doch vieles irgendwie ein bisschen. Und deshalb ist es wichtig, dass alle gemeinsam voneinander lernen, sind sich die Schülerinnen und Schüler einig.
Dass jeder irgendetwas besonders gut kann, stellen sie anschließend auch beim Weiterdenken und Schreiben im Gedankenfliegermagazin fest. Sie entwerfen ein Zeugnis für einen Erwachsenen oder für den besten Freund/die beste Freundin und überlegen, wie sich das wohl für denjenigen anfühlt, der bewertet wird.
Kann man im Körper Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit spüren? Welche Farbe könnte das Gefühl haben?

 

90 Minuten vergehen wie im »Gedankenflug«, vielen Dank dafür!

3. Tag in der Jugendscheune Neukloster:

 

Mit einer Konzentrationsübung beginnt Isabell Köster den »Gedankenflug« in den schönen Räumlichkeiten der Jugendscheune Neukloster, denn Konzentration kann sehr hilfreich sein beim »Gedankenfliegen«. »Gar nicht so einfach«, stellt die zweite Klasse fest, als es darum geht, die Zahlen von eins bis zehn abwechselnd laut in den Raum zu sprechen, ohne vorher eine Reihenfolge verabredet zu haben.

Entsprechend »angeschaltet« fliegen die Gedanken anschließend um die Wette, als die große Frage »Wie geht Gerechtigkeit?« gestellt wird.

Wichtig ist es, finden viele, sich an Regeln zu halten, denn die sind schließlich dazu da, um Ungerechtigkeiten zu vermeiden. Außerdem sollten alle das gleiche kriegen, bzw. die Möglichkeit haben, sich etwas auszusuchen (denn es könnte ja sein, dass gar nicht alle das gleiche haben möchten).

 

»In einer gerechten Welt sind alle gut zueinander.«

(Klara, 7 Jahre)

 

»Man sollte auch mal was Neues ausprobieren«, meint Lilly, als das Buch »Wie die Ziege schwimmen lernt« dazu anregt, Ungerechtigkeiten in der Schule näher zu beleuchten. »Denn selbst, wenn es Spaß macht, das zu vertiefen, was man gut kann«, erklärt Lilly weiter, »ist es doch auch schön, neue Dinge zu lernen.«

 

Eine weitere zweite Klasse philosophiert mit Anne Jaspersen darüber, inwiefern sich Gedanken auf Gefühle auswirken, wo sie im Körper sitzen und wie man sie ausdrücken kann. Denn die Vermittlung der eigenen Gedanken und Gefühle spielt beim »Gedankenfliegen« eine große Rolle.

 

Zur philosophischen Frage »Wie geht Gerechtigkeit?« bringt ein Würfelspiel einigen Kindern Glück, den anderen nicht, was die Kinder dazu bewegt, angeregt über dieses Thema zu diskutieren:

 

»Ungerechtigkeit fühlt man im Kopf oder im Bauch.«

»Wenn mir jemand Spielzeug wegnimmt, ist das ungerecht.«

»Man sollte freundlich miteinander sein und teilen.«

»Jemanden ausschließen ist ungerecht.«

»Wenn etwas doofes passiert ist, kuschel ich mit meiner Katze.«

»Freunde sollten teilen.«

 

Das Buch »Zwei für mich, einer für dich«, in dem ein Bär und ein Wiesel drei Pilze teilen wollen, sorgt für weitere gute Ideen in Punkto Gerechtigkeit:

 

»… den dritten Pilz in der Mitte durchschneiden.«

»Einen vierten Pilz dazu suchen …«

»Den dritten Pilz könnte man einem anderen Tier geben.«

»… aber klauen ist total ungerecht!«

»Man könnte den Fuchs ja auch einladen. Wenigstens zum Nachtisch …«

 

»Gute Idee«, finden Anne Jaspersen und Isabell Köster, »zum Nachtisch kommen wir auch gerne, denn die heutigen »Gedankenflüge« haben uns sehr bereichert!

 

Frau König von der Stadtbibliothek Neukloster hat uns übrigens mit vollem Einsatz ganz wunderbar betreut – vielen lieben Dank dafür!

4. Tag in der Schule Gützkow:

 

Das hatten wir noch nie: die Schule in Gützkow hat den Stuhlkreis farblich auf unseren Gedankenflieger-Aufsteller abgestimmt! Das wäre doch nicht nötig gewesen, liebes Kollegium.

Mit dem Philosophieren kennen sich in unserer letzten Etappe einige Kinder schon gut aus, denn es steht auf dem Stundenplan.

 

In beiden 4. Klassen wird ein kleines Arrangement aufgebaut: Ein Schlüssel, ein Herz, zwei Eiswaffeln, eine Wasserflasche, eine Ratte und ein Würfel liegen in der Mitte des Klassenraums auf dem Boden.

»Gibt es hier Dinge, die eurer Meinung nach etwas mit Gerechtigkeit zu tun haben könnten?«, fragt Isabell Köster erwartungsvoll in die Runde.

Na klar! Die Eiswaffeln entfachen schnell ein Gespräch übers Teilen in all seinen Facetten (Argumente, siehe auch Tag 3). Die Ratte mischt sich, liebevoll gesprochen von Anne Jaspersen, ein und moderiert ein Gespräch über ungleiche Lebensbedingungen für Tiere. Um Tiere, Solidarität und die Fähigkeit, sich Hilfe zu holen, wenn man sie braucht, geht es dann auch in dem spanischen Märchen »Die kleine rote Henne«.

»Die Henne will den anderen Tieren eine Lehre erteilen, damit sie beim nächsten Mal schlauer sind«, ruft Davian in die Runde. »Und dafür muss man schon mal den Mund aufmachen.«

 

»Gerechtigkeit ist schwer, weil sich nicht alle daran halten.«

(Hanna, 9 Jahre)

 

Wie man sich Gehör verschaffen kann, das zeigen auch die Farbstifte aus dem Buch »Streik der Farben«. Die beschweren sich nämlich darüber, dass sie entweder zu viel gebraucht, zu wenig gebraucht oder ungerecht behandelt werden. Gelb und Orange reden nicht mehr miteinander, weil sie beide die Farbe der Sonne sein wollen. Streik ist für die Kinder allerdings nicht die erste Wahl zur Konfliktlösung, eher stehen Integration, Teamwork und Kreativität im Vordergrund.

 

Im Magazin malen die Kinder eine Welt, in der viele Farben mal ganz anders zum Einsatz kommen. Bestechend ist die Lösung von Kenny, der eine Himmelsleiter malt, auf der »Gelb« und »Orange« die Sonne gemeinsam abbilden: Eine gelbe Sonnenkugel mit kräftigen orangefarbenen Strahlen.

 

»Und warum«, fragt Hanna im Zwiegespräch, »liegen da jetzt immer noch Gegenstände in der Mitte? Das Herz hat schließlich auch viel mit Gerechtigkeit zu tun.« »Stimmt«, können wir da nur entgegnen, »aber das Gespräch darüber müssen wir leider auf unseren nächsten Besuch verschieben …«

 

Vielen Dank vor allem auch an Juliane Foth, an Frau Amtsberg und alle anderen Beteiligten für ihren Mut, in diesen schwer planbaren Zeiten eine »Gedankenflieger-überLandtour« zu organisieren!