21. Mai 2024

Mutig denken – Philosophieren mit Kindern: Wie gehen wir mit Vielfalt um?

Ein Projekttag an der Universität Rostock mit dem Schwerpunkt diversitätssensible Kinderliteratur.

Die Räume der philosophischen Fakultät in der Rostocker Innenstadt laden schon beim Betreten des dritten Stocks zum Mitdenken ein. Große Plakate zu unterschiedlichsten Themen der Grundschulpädagogik, didaktische Modelle an den Wänden, 100 Ideen, wie jeder von uns jeden Tag zum Klimaschutz beitragen kann in Herzform aus bunten Klebezetteln und ein Lichthof mit Nachbildungen römischer Gipsstatuen.

 

Ein wunderbarer Rahmen für einen Fortbildungstag zum »Philosophieren mit Kindern«, der für die Studierenden innerhalb einer »Projektausgleichswoche« angeboten wird: Wie gelingt es, pädagogische Konzepte und Modelle zum »Philosophieren« im Unterrichtsalltag umzusetzen? Drei Schwerpunkte bilden das Programm des Tages: Warum überhaupt Philosophie? Welche philosophische Haltung bringen wir mit bzw. welche Methoden sind beim Philosophieren mit Kindern besonders wichtig und – welche literarischen Anknüpfungspunkte bieten sich dafür an?

 

Wir steigen mit den acht Teilnehmerinnen direkt in die Praxis ein und stellen das aktuelle Jahresthema der »Gedankenflieger« vor: Mut. Dazu haben wir verschiedenste Gegenstände in der Mitte eines Sitzkreises ausgebreitet. Welcher davon hat mit Mut zu tun und warum? Die Studierenden stellen sich vor und kommen so direkt ins Gespräch. Hat Mut immer mit Angst zu tun? Warum sind die Assoziationen zu diesem Begriff so verschieden und gibt es hier auch besondere Erfahrungen mit Kindern?

 

Diese Methode ist gleichzeitig schon ein bewährtes Gut der »Gedankenflieger«-Praxis. Wir nennen es das »1000-Dinge-Glas«. In ihm werden Gegenstände zusammengestellt, die mit Leichtigkeit verschiedene Assoziationen zu bestimmten Begriffen ermöglichen. Es ist immer wieder aufregend, gerade bei einem neuen Thema hierzu selbst auf die Suche zu gehen. In der Praxis zeigt sich, dass es nicht immer etwas klassisches, wie eine Taschenlampe oder eine Spinne sein muss, um die Verbindung zu, in diesem Fall, »Mut« herzustellen. Und so verraten auch unsere Teilnehmerinnen mit ihren Anekdoten zu dem Gegenstand ihrer Wahl einiges über sich und natürlich über ihre Sicht auf Mut.

Schon in dieser ersten Runde machen wir erlebbar, was das Philosophieren zu einer besonderen Form des Austauschs macht: Es geht um ein gemeinsames Denken und Entwickeln von Gedanken im Dialog. Weniger das Vermitteln von Wissen steht im Vordergrund, sondern das eigene Denken und die Begründungen dafür. Nach einem kurzen Ausflug in die Theorie, wird es wieder praktisch – wir kommen zu dem besonderen Merkmal jedes »Gedankenflugs«: Dem Arbeiten mit Kinderbüchern und der kreativen Arbeit im »Gedankenflieger«-Magazin. Die Teilnehmenden hören die Geschichte von »Roberta und Henry«, denken in Kleingruppen über mögliche philosophische Schwerpunktsetzungen nach und machen sich zu zweit Gedanken über ihren persönlichen Freundschaftsbegriff.

 

Dabei streift unser Thema auch die manchmal schwer vereinbaren Ansprüche, »guten« Philosophie-Unterricht zu gestalten und dabei rein formal allen universitären Anforderungen gerecht zu werden. Da in Mecklenburg-Vorpommern an jeder staatlichen Schule Philosophie, im Grundschulbereich dann Philosophieren mit Kindern (PmK), als Ersatzfach zu Religion angeboten wird, ist der Lehramtsstudiengang in Rostock dazu gut besucht. Vom Beginn des Studiums an bis ins Referendariat hinein ist es eine Herausforderung, die Begriffe so in den Unterricht hineinzutragen, dass sie sich frei entfalten können, wenn der Rahmen für die Unterrichtsgestaltung aber gar nicht so viel Freiraum zulässt. Auch hier können wir gut über den Mut sprechen, sich mal ins Ungewisse zu wagen und neue Wege einzuschlagen.

 

Nach einer Mittagspause öffnen wir das Feld für den Umgang mit »Vielfalt« – und erstellen eine gemeinsame Mindmap zur Klärung des Begriffs und den thematischen Kontexten, in denen er wichtig ist oder erfahren wird: Eine Debatte, die weit über die Klassenräume hinaus bedeutsam ist, aber gerade deshalb auch in die Schulen gehört. Darüber sind sich alle einig. Auch dazu gibt es literarisches Material, um nicht allein aus den eigenen Erfahrungen schöpfen zu müssen und sich der eigenen Perspektive auch gerade durch die Abstraktion oder persönliche Distanz klarer zu werden.

Inga Faust stellt eine Auswahl diversitätssensibler Kinderbücher vor, die mit Themenkomplexen wie Gender, Migration, Familienbilder, mentale Gesundheit und Body positivity verschiedenste Bereiche der kindlichen bzw. menschlichen Lebenswelt abbilden.

Die jungen Studierenden sind mit den aktuellen Debatten hierzu vertraut. Fast entsteht das Gefühl, man müsse dazu nicht viel sagen, denn allein die Sprache und wie wir auf diese Themen referieren, macht völlig klar, dass ihre Lebenswelt eine sehr diversitätssensible ist. Gerade in dem Moment, wo wir aber Kindern begegnen, die in ihrem je eigenen Umfeld und zu Hause ganz unterschiedliche Realitäten erfahren und diese dann alle in einer Schulstunde aufeinandertreffen, ist eine Menge Aufmerksamkeit nötig.

Nur weil ich etwas für richtig halte und mir wünsche, dass alle nach meinen diesbezüglichen Maßstäben handeln, muss die Brücke erstmal gebaut werden. Unser aktuell so häufiges Augenmerk: verhärtete Standpunkte und fehlende Kommunikation. Selbst in einem Bereich wie der Vorstellung eines Bilderbuches in einer Grundschulklasse kann dem Austausch ein schnelles Ende gesetzt werden, wenn ich Grenzen in der Lebenswahrnehmung von anderen zu voreilig überschreite.

 

Manchmal gelingt ein Austausch erst dann, wenn ich mich anfangs zurücknehme, ohne meinen Standpunkt aufzugeben. Diese Diskussion erleben wir als sehr bereichernd, nicht nur für unser Fortbildungsthema, sondern auch in dem Wissen, dass hier Menschen in ihrem zukünftigen Beruf in der Bildung mitten in der Gesellschaft gestärkt agieren können sollen.

 

Als letzte Praxiseinheit beschäftigen wir uns anhand von Illustrationen mit dem Begriff »Würde« und dem Perspektivwechsel für mehr Achtsamkeit. Ein kleiner Spaziergang durch unseren Seminarraum und das Durchspielen alltäglicher Situationen zwischen Vorurteilen und Scham macht deutlich, dass auch hier oft Mut gebraucht wird. Mut, alte Erfahrungen nicht zum Gesetz zu machen und Mut, neue Lebensrealtäten entstehen zu lassen.

 

Am Ende legen wir gemeinsam durch dieses weite Feld der möglichen Gedanken zu all den großen Fragen und Aussagen des Tages einen »roten Faden« und versuchen einen Begriff zu finden, den jede von uns daraus mitnimmt. Hoffentlich ist dieser Begriff ein Anfang für weitere Gedanken, die ins Fliegen kommen und neue philosophische Höhenflüge möglich machen können. Uns hat es jedenfalls sehr viel Freude gemacht!

 

Inga Faust und Ina Schmidt