27. Juni 2024

Mut-Tour im Landkreis Lüneburg, Teil Zwei

mit Stefanie Segatz, Anne Jaspersen und Lukas Biermann.

Am Mittwoch sind wir wieder in der Grundschule Hohnsdorf zu Gast und philosophieren heute mit der Klasse 2b. Meine Kollegin, die Kinderbuchautorin Anne Jaspersen, leitet den »Gedankenflug«. Nach unserer Einführung ins Philosophieren holt sie ihre Fühlkiste hervor. Was sich darin wohl versteckt? Nur mutige Kinder können es erfahren! Kalle zieht einen Lockenwickler heraus. Was könnte der wohl mit Mut zu tun haben? »Wenn man sich sehr verändert oder etwas zum ersten Mal macht, dann braucht man Mut«, meint Lilly. »Ja, man könnte ja komisch aussehen und dann ausgelacht werden«, stimmt Malina zu.

Jetzt ist Noah dran. Er zieht eine Maus hervor. »Viele haben Angst vor Mäusen und man braucht Mut, sie anzufassen«, sagt Hely. »Aber auch die Maus braucht Mut, denn sie lebt auf einem Bauernhof, auf dem es auch Katzen gibt«, erweitert Lisa. Lotta zieht ein Herz. »Wenn man Angst hat, jemandem ein Gefühl zu sagen, muss man sich ein Herz fassen«, weiß Lara. »Ja, es gibt auch Herzklopfen«, stimmt Lotti zu. Till zieht eine Fledermaus hervor und fühlt sich an gruselige Situationen erinnert, die Mut erfordern.

 

Die Bilderbuchgeschichte von Spriedel macht gute Laune und lässt uns darüber nachdenken, wann es angemessen ist, einmal aus der Reihe zu tanzen. »Es braucht ganz schön viel Mut, einmal anders zu sein als alle anderen«, fasst Henri zusammen.

Im Magazin widmen wir uns der ersten Doppelseite mit der Frage »Wer traut sich was?«. Manche finden einen Löwen mutig, andere eine Maus. Der innere Schweinehund hat für Hely Flügel, für Sophie ist er groß wie ein Elefant und zeigt sich vor allem dann, wenn sie ihr Zimmer aufräumen soll. Danke für Eure Gedanken, Klasse 2b!

 

»Genau in der Mitte zwischen Angst und Übermut, müsste Mut zu finden sein.«

(Vito, 8 Jahre)

 

Der zweite »Gedankenflug« an diesem Tag führt uns in die Biberklasse 2a, wo Stefanie nach einem einführenden Gespräch über den Begriff Philosophie ein »1000-Dinge-Glas« hervorholt und ein paar Dinge in die Mitte legt. »Was könnten diese Gegenstände wohl mit Mut zu tun haben?«, fragt sie in die Runde und sofort schießen viele Finger in die Höhe. Joris nimmt den Taucher in die Hand und erklärt, dass man unter Wasser viel Mut braucht, weil man ja lange die Luft anhalten muss, was in der Tiefe sogar gefährlich werden könnte.

Ein Tritt mit dem Fuß einer Giraffe wäre allerdings nicht weniger gefährlich, findet Sanaa, während sie nach der Giraffe greift. Und David ist der Meinung, dass man auch in der Begegnung mit künstlichen Dinos Mut braucht, denn die sehen gefährlich echt aus.

Jessica entscheidet sich für den Zauberwürfel und ist sich sicher, dass es nicht nur Mut erfordert, die eigene Angst zu überwinden, sondern dass man mindestens genauso viel Mut braucht, um Probleme zu lösen.

»Genau«, stimmt Sanaa zu und erzählt, dass sie in einem anderen Land mal auf ihre kleineren Geschwister aufpassen musste, die in verschiedene Richtungen fortliefen. Sie konnte jedoch die Sprache kaum sprechen und musste ihre Geschwister ja trotzdem finden und wieder einsammeln. »Ich hatte Angst und gleichzeitig Lust, das hat mich mutig gemacht«, überlegt sie rückblickend. Mut kann also auch stark machen, wenn man die Herausforderung annimmt.

Das Buch »Das ist doch kein Beruf für einen Wolf« von Annette Feldmann und Mareike Engelke wirft weitere Aspekte von »Mut« in die »Mutschale«, denn in der Geschichte verlässt die Wölfin Isa ihre Familie, um einen Beruf zu erlernen, den die Eltern überhaupt nicht passend finden. Auf Stefanies Frage am Ende der Geschichte »In welchem Moment fandet ihr Isa denn am mutigsten?« antwortet Max: »Isa hat einen kühlen Kopf bewahrt, als sie sich den Piraten entgegenstellen mussten, das fand ich sehr mutig.« Und Sanaa sagt: »Dass sie ihre Familie verlassen hat, um Kapitänin zu werden, das war mutig.«

Im Magazin können die Kinder über eigene mutige Berufswünsche malen oder schreiben. Astronauten, Polizistinnen und Feuerwehrleute stehen in punkto »Mut« hier eindeutig an erster Stelle!

 

Am Tag 5 der »Gedankenflieger-Tour« sind Lukas und ich an der einzügigen Grundschule Wendisch Evern zu Gast und werden morgens von einer lebhaften ersten Klasse begrüßt. Die Kinder, deren Gedanken laut eigenem Bekunden gerne durcheinander wuseln, haben gleich verschiedene Antworten zum Thema »Mut« parat. Vor allem, was wilde Gewässer außerhalb von Schwimmbädern betrifft, stellen sie Überlegungen dazu an, wieviel Mut man wohl braucht, um von einer Klippe zu springen oder Flüsse mit Strömungen zu überqueren und ob da nicht auch Vorsicht geboten sein könnte. Denn Übermut kann schließlich verdammt schief gehen.

Wenn man etwas nicht machen möchte, sollte man also mutig »nein« sagen oder wenigstens um Hilfe bitten, falls man sich nicht alleine traut. Denn auch Familie und Freunde können Mut machen.

 

Die Albernheit greift nicht nur im Buch »Spriedel« um sich, sondern auch in der Klasse, denn die Kinder haben einen Heidenspaß daran, sich eigene Bewegungen mit Quatschwörtern auszudenken. Als Antwort auf die Frage, wen sie in der Geschichte denn am mutigsten fanden, suchen sich viele Kinder den Spatz aus, weil er ja sich ja getraut hatte, mit dem ganzen Quatsch anzufangen. Doch mindestens genauso viele Kinder sind der Meinung, dass die Krähe mutiger gewesen ist, weil ihr das »Albernsein« wesentlich schwerer gefallen ist als allen anderen und sie dafür sogar von ihrer ursprünglichen Einstellung abweichen musste.

Ist man also mutiger, wenn Mut mehr Überwindung kostet? »Kann sein«, flüstert mir ein Junge von der Seite zu und weiß wahrscheinlich, wovon er spricht.

Im Magazin malen die Kinder dann begeistert alle möglichen Mutwesen, die sich teilweise eigene Quatschwörter ausdenken – was für ein bunter »Gedankenflug-Start«!

Nach der großen Pause werden wir neugierig von der dritten Klasse der Schule empfangen, die sich zu Beginn des »Gedankenflugs« mit Lukas dem Begriff »Weisheit« nähert: »Wer weise ist, sagt auch die Wahrheit«, vermutet ein Kind und ein anderes ist der Meinung, dass Lernen und Lebenserfahrung beim »weise werden« helfen könnten.

 

Als Lukas unsere philosophische Jahresfrage »Was bedeutet Mut?« in die Runde wirft, beginnt Georg zu erklären, dass es mutig ist, die eigene Angst zu überwinden, was man allerdings Schritt für Schritt tun sollte, damit es auch klappt. Er hat sich zum Beispiel das Ziel gesetzt, im Schwimmbad irgendwann vom Fünf-Meter-Turm zu springen, nachdem er den Einer und den Dreier bereits geschafft hat. »Wenn man nicht vor der Angst wegrennt, sondern auf sie zugeht, klappt es auch irgendwann«, sagt er lächelnd.

Sich für andere einzusetzen, kann ebenfalls sehr mutig sein, finden einige Kinder und Smilla meint, dass man vor gefährlichen Sachen auf jeden Fall Respekt haben sollte. Ella ergänzt, dass zuviel Mut nämlich lebensgefährlich werden könnte und es gut wäre, wenn zum Mut noch Klugheit käme.

Natürlich kann man sich auch selbst Mut zusprechen, um mehr Selbstvertrauen zu haben, zum Beispiel, wenn man eine Klassenarbeit schreiben muss.

 

Dem Buch »Tina hat Mut« lauschen alle aufmerksam und finden es mutig, dass Tina in den dunklen Wald gegangen ist, um der Flöte zu folgen. Allerdings hatte sie ihren Hund dabei und wenn man nicht alleine ist, fällt Mut natürlich leichter.

Im Magazin werden Briefe geschrieben, die einer anderen Person Mut machen sollen. So schreibt Laura einen Brief an ihre Oma, die in der Klinik liegt und Mut braucht, um gesund zu werden. Der Papa von Georg muss seinem Pferd Mut machen, das an Zahnproblemen leidet. Helene wünscht ihrer Cousine Marie Mut beim Köpfer vom Einer. Runa spricht ihrer großen Schwester Emilia Mut beim »Arbeiten schreiben« zu. Nisa wünscht ihrer Mama Mut, weil sie operiert werden muss und David schreibt an die Nationalelf, denn die braucht ganz bestimmt sehr viel Mut für die Europameisterschaft!

 

Wir finden es wirklich mutig von den Kindern, diese persönlichen Briefe laut vorzulesen und sind am Ende ganz erfüllt von so vielen mutigen Gedanken!

 

Nach diesen zwei sehr lebendigen »Gedankenflügen« zeigt uns Karen Gehrke vom Literaturbüro Lüneburg die schön schiefgesunkene Lüneburger Innenstadt, erzählt uns dies oder das von dreckigen Spielunken, einem unglücklichen Kirchenbaumeister oder einem kunst- und baustiftenden Sproß der Stadt – und führt uns zum wohl best-geheimen Mittagstisch Lüneburgs. Vielen Dank für diese spannenden und kulinarischen Exkurse!

Ob es schon zu mutig ist, den kleinen Weg nach Lüneburg am Vorabend mit dem allerletzten Zug zu machen? Ich darf am nächsten Morgen jedenfalls mit Anne und unserer Lotsin Karen zur Grundschule Wendisch Evern aufbrechen.

Und dafür geht es schon früh los – ich treffe kurz vor sechs unsere Hospitantin Lena Költsch, und als gleich darauf auch Anne und Karen erscheinen und wir alle hellwache Morgengrüße murmeln, fahren wir mit dem »Philomobil« in Richtung Neuhaus/Elbe los.

 

Dort angekommen werden wir von Frau Runge begrüßt und in den Klassenraum der 3b geführt. Bald schon fliegen die Gedanken zum Jahresthema Mut: Dass es auch Mut braucht, andere zu ermutigen. Oder man sich in mancher Situation gerade keinen Mut abringen sollte. Dass einem Ungewissheit Mut abverlangt, die spezifischen Ängste aber nicht minder. Und dass Mut Überwindung braucht. Die meine ist angesichts der lebendigen Klasse gering, auch als ich krächz-, gurr- und piepend den »Spriedel« vortrage. Und als die Kinder im Lösen und Präsentieren der darauffolgenden Aufgaben das »Mut-Wallen« am eigenen Leib und in der Klassengemeinschaft erleben, geht mir das freudig durch’s Gemüt.

Ob Anne als altgediente Philoty vor Frau Brokmöller und der 3c, oder wenigstens vor der mit der Presse dazustoßenden Schulleiterin Mut aufbringen muss? Jedenfalls beweisen die Kinder wieder allen Mut, als sie sich unserem Jahresthema nähern, ihre Angst vor Umzügen, Schlangen und (Stoff-)Mäusen ausloten, sich Gedanken über die Liebe und das Selbstvertrauen machen, oder nach der Lektüre von »Das ist doch kein Beruf für einen Wolf« ihre eigenen Zukunftspläne, von der Krankenschwester bis zur Soldatin, oder den Warnungen der Lehrer-Eltern zum Trotz als Lehrerin, ausmalen.

 

Die wertschätzende Resonanz aller, besonders auch Lenas ansteckend-leidenschaftliche Begeisterung und Karens gewissenhaft-beständiges Engagement für das Projekt, lässt mich allenfalls mutiger zurück. Auch gerade weil ich, als wir nach den »Gedankenflügen« leicht auf der Fähre die ehemalige innerdeutsche Grenze queren und an den bitterernsten Mut derjenigen denken, die hier rübermachten – und den derer, die blieben – angehalten war, darauf zu hoffen, dass unsere Gesellschaft die Courage beibehält, offen in die Zukunft zu gehen.

Herzlichen Dank für all den Mut, die Zuversicht und die fantastische Rundum-Betreuung!

 

Stefanie Segatz, Anne Jaspersen, Lukas Biermann