
29. Mai 2025
»Mut bedeutet, in Gedanken aufzustehen«
»Gedankenflieger«-Tour im Landkreis Lüneburg mit Wiebke Fötsch, Ina Schmidt, Stefanie Segatz und Anne Jaspersen.
Zum Auftakt der fünftägigen »Gedankenflieger«-Tour im Landkreis Lüneburg sind Wiebke Fötsch und ich an der Grundschule Handorf zu Gast. Wie immer begleitet Karen Gehrke (Literaturbüro Lüneburg) liebevoll alle »Gedankenflüge«, wobei an diesem Montagmorgen auch Marie Louise Blankemeyer vom Literaturbüro Lüneburg dabei ist; heute wird nämlich nicht nur Presse erwartet – auch die Sparkasse Lüneburg ist vertreten, die diese Tour im Rahmen des »Das tut gut«-Projekts fördert.
Wir starten mit einer zweiten Klasse und unserer Jahres-Frage: »Was bedeutet Mut?« Einige Finger schnellen in die Luft: »Wenn man sich verirrt hat, braucht man Mut.« »Oder bei einer Aufführung.« »Wenn man die Sprache der anderen nicht spricht.« »Aber zuviel Mut ist gar kein Mut«, lenkt ein Kind ein, »das ist dann eher lebensmüde.« Ein Spiel mit Tier-Haarreifen und das Buch »Der Löwe in dir« von Rachel Bright und Jim Field beleuchten das Thema Mut aus der Tierperspektive: »Meerschweinchen im Hundegarten. Die brauchen Mut«, bemerkt ein Kind und hat großen Spaß daran, sich zusammen mit den anderen Kindern Tier-Mutposen auszudenken – gemeinsam ist man eben mutiger als alleine.
Zum Einstieg in die zweite Runde macht Wiebke ein kleines Experiment mit den Kindern: »Schließt mal für eine Minute die Augen und beobachtet eure Gedanken. Was passiert?«
»Mit den Gedanken kann man Dinge sehen und bewegen.« »Man kann an fremde Orte fliegen.« »Man kann sogar jemanden sprechen hören«, berichten die Kinder begeistert. Und schon wird das Tor zum gemeinsamen Denken aufgestoßen. Doch wofür brauchen wir Mut?
»Man muss neugierig sein, um Mut zu haben«
(Fjonn, 7 Jahre)
Aber auch für starke Gegner braucht man Mut oder im Krankenhaus oder wenn etwas peinlich ist. Und um sich nachts in einen dunklen Wald zu trauen sowieso. Dazu passt das Buch »Tina hat Mut« von Tatia Nadareischwili ganz hervorragend, denn in der Geschichte traut Tina sich tatsächlich in einen dunklen Bambuswald. Wie schön, dass sie ihren Hund Poppy dabei hat, denn auch in dieser Klasse finden die Kinder: »Zusammen kann man mutiger sein als alleine.«

Am zweiten Tour-Tag bin ich mit Ina Schmidt an der Außenstelle Tripkau der Grundschule Neuhaus zu Gast. Los gehts mit einer gemischten ersten und zweiten Klasse. »Philosophen sind Leute, die gut nachdenken können«, bemerkt ein Kind zum Einstieg ins philosophische Gespräch und damit ist natürlich schon ganz viel gesagt. Als Ina Dinge aus einer Kiste ziehen lässt und fragt, was diese Dinge mit Mut zu tun haben könnten, sprudeln weitere Gedanken hervor: »Um Piraten zu bekämpfen, braucht man Mut, denn der Ausgang ist ungewiss«, bemerkt ein Kind und ein anderes findet, dass es Mut braucht, wenn man etwas Neues ausprobiert. »Auch weglaufen kann mutig sein, wenn eine ernsthafte Gefahr droht, dafür ist Angst sogar wichtig«, wirft jemand in die Runde und das passt ganz gut zur Geschichte »Der Löwe in dir«, denn dort, das findet jedenfalls Gregor, ist die Maus nicht mutig, sondern leichtsinnig, weil sie sich (im Angesicht des Löwen) unnötig in Gefahr bringt.
Zur zweiten Veranstaltung kommen die dritte und vierte Klasse in den Musikraum und haben ebenfalls viele Assoziationen zum Thema Mut: Ins kalte Wasser springen, an einer Spinne vorbeigehen, das Dunkel aushalten oder von einem Sprungturm im Schwimmbad springen – alles Dinge, für die eine ganze Menge Mut nötig ist. Doch genauso mutig kann es sein, eine eigene Meinung zu haben, NEIN zu sagen oder etwas einfach mal nicht zu tun, obwohl andere es von einem erwarten.
Das Buch »Hier kommt keiner durch« von Isabel Minhós Martins und Bernardo P. Carvalho knüpft genau an der Stelle an: Sollte man dem Aufpasser Folge leisten, der eine leere Buchseite bewacht, weil der General bestimmt hat, dass die Seite nur ihm gehört? Oder wäre es mutig, die Regel zu brechen? Ein spannendes Gespräch über den Sinn und Unsinn von Regeln und Verboten wird am Ende im Magazin noch einmal zu Papier gebracht, denn auch im Schulalltag gibt es offenbar solche Regeln. »Was macht ihr, wenn der Ball in der Pause über den Zaun fliegt?«, fragt die Lehrerin und einige Jungs gucken sich grinsend an. Vielleicht regt unser »Gedankenflug« ja sogar dazu an, bestehende Regeln zu hinterfragen und eine neue Vereinbarung zu treffen – mutig wäre das in jedem Fall!

Sehr aufmerksame und neugierige Kinder der dritten Klassenstufe erwarten uns heute, am Mittwoch, an der Agnes-Karll-Grundschule in Embsen. In der Käferklasse widmen wir uns den Mut-Gedanken aus der Tierperspektive. Mutige Kinder dürfen sich einen Tierreif auf den Kopf setzen, um sich in das jeweilige Tier hineinzuversetzen und zu überlegen, was »mutig sein« für das ausgesuchte Tier bedeuten könnte. Im Anschluss ist noch eine Mutpose gefragt, die die anderen Kinder gemeinsam nachmachen. »Sich gegen Feinde behaupten« oder »vor Feinden wegrennen« scheinen den Tieralltag in punkto Mut nach Ansicht der Kinder zu bestimmen. Umso beeindruckender finden die Kinder die Maus im Buch »Der Löwe in dir«, die sich nicht entmutigen lässt und den Löwen tatsächlich um Hilfe bittet. Zum Schluss werden spannende Mut-Gedichte im Magazin zu Papier gebracht. Wunderbar!
In der zweiten Runde lässt Ina die Kinder Wörter aus einer verdeckten »Schatzkiste« ziehen mit der Aufforderung zu überlegen, ob das jeweilige gezogene Wort entweder ganz viel oder ganz wenig mit dem Begriff Mut zu tun hat. Anhand eines in die Mitte gelegten Seils wird der Raum in zwei Hälften geteilt: In eine Viel-Mut-Hälfte und eine Wenig-Mut-Hälfte. Die Kinder denken darüber nach, wo genau sie ihr Wort plazieren und begründen im besten Fall ihre Entscheidung. Sehr spannend daran ist, dass innerhalb des Gesprächs nochmal nachjustiert wird und sich nach genauerer Ergründung sowie in Absprache mit anderen einige Positionen verändern. »Mir geht ein Licht auf«, sagt ein Kind, während es den Begriff Licht in den Mutbereich rückt, denn in einer brenzligen Situation braucht man Mut für gute Ideen oder etwa nicht?
Und dazu passt das Buch »Dunkel« von Lemony Snicket und Jon Klassen ganz hervorragend, denn auch dort kann man Licht ins Dunkel bringen. Wie schön, dass im Magazin am Ende wunderbare Unterhaltungen mit dem Dunkel zustande kommen, das für einige Kinder auf einmal fast zu einem Freund geworden ist.

Am Donnerstag sind Stefanie Segatz und ich zu »Gedankenflügen« mit einer ersten und einer vierten Klasse in der Schule Amelinghausen eingeladen. Mit der ersten Klasse überlegen wir, ob eigentlich auch Tiere mutig sein können und wenn ja, auf welche Weise. Wir denken uns gemeinsam Tier-Mutposen aus und versuchen uns, anhand von Tierhaarreifen auf dem Kopf, in die Tiere hineinzuversetzen. Das Buch »Der Löwe in dir« ist ein schöner Anlass, um nochmal zu überlegen, wer in der Geschichte eigentlich mutiger sein muss: der Löwe oder die Maus?
Im Magazin können die Kinder dann ihre eigenen Mut- und Angstabenteuer malend oder schreibend zu Papier bringen und das ist auf einer anderen Ebene genauso spannend.
Bevor wir das Buch »Tina hat Mut« lesen, lassen wir mit der anschließenden vierten Klasse einen Kreisel kreiseln und die ausgewählten Kinder in einen Tontopf hineingreifen. Es werden Fragen herausgefischt, zum Beispiel die Frage »Was ist das Gegenteil von Mut?«
Während viele der Meinung sind, dass Angst das Gegenteil sein könnte, erwähnen ein paar Kinder auch Scham oder Traurigkeit. Denn wer traurig ist oder sich schämt, kann nicht gleichzeitig mutig sein. Am Ende werden im Magazin Freundschafts-Mutbriefe geschrieben, die (ohne die jeweiligen Adressaten zu nennen) auch vielfach vorgetragen werden.
Wie mutig, gerade im Angesicht des bevorstehenden Schulwechsels, so wertschätzende und emotionale Briefe zu schreiben!

Am letzten Tag der Lüneburger »Gedankenflieger-Tour« besuchen Stefanie Segatz und ich zwei dritte Klassen an der sehr beeindruckenden Grundschule Bardowick. In der ersten Veranstaltung mit der Faultierklasse darf sogar Schulhund Pepe dabei sein! Was für eine Freude (nicht nur für die Kinder) und ein wunderbarer Anlass zur Frage »Wieviel Mut braucht welches Tier und warum?« Eine kleine Stofftiermaus (für die auch Pepe sich sehr interessiert) und ein Stofflöwe stehen zur Auswahl, um sich einem der beiden Teams anzuschließen. Für beide Seiten werden gute Argumente gefunden und beim Lesen des Buchs »Der Löwe in dir« weiter vertieft. Was für eine erfrischende Veranstaltung mit der Faultierklasse!
»Mut bedeutet, in Gedanken aufzustehen.«
(Paul, 9 Jahre)
Anschließend wird in der 3c mutig in die Fühlkiste gegriffen, um Gegenstände zu ertasten und hervorzuholen, die im Zusammenhang mit Mut stehen könnten. Da kommt zum Beispiel ein Kompass zum Vorschein, für den man ganz schön viel Vertrauen braucht, um sich auf ihn zu verlassen. Gehört Vertrauen zum »mutig sein« also dazu? Auf jeden Fall braucht es viel Mut und Vertrauen, um sich mit dem Dunkel anzufreunden, das den Kindern in der Bilderbuchgeschichte begegnet. Und mit genau diesem Vertrauen werden am Ende wunderbare Mutmach-Briefe im Magazin geschrieben. Was für ein schöner Abschluss!
Mit herzlichem Dank an alle Beteiligten fahren wir beseelt zurück nach Hamburg – es war uns mal wieder ein Fest!
Anne Jaspersen